Leistungsorientiert trainieren im Behindertensport

Ein Gespräch mit Ralf Lindschulten

Dr. Ralf Lindschulten lebt in Hannover (D), ist Sportwissenschaftler und einer der erfolgreichsten Handbike-Trainer der Welt.

Mit seinen Athleten konnte er verschiedene Medaillen an Paralympischen Spiele gewinnen und mehrere Weltrekorde erzielen.

Seit ein paar Wochen plant und steuert Ralf seine Trainings mit seinen mehr als 120 Athleten (!) über Azum.

Für uns der Anlass mit Ralf über seine Arbeit, leistungsorientiertes Training im Behindertensport – und die Rolle der richtigen Software in diesem Training zu sprechen.

Ralf zum Einstieg ins Coaching

Azum: Wie kamen Sie zum Coaching, Ralf?

Dr. Ralf Lindschulten: Wie die meisten Trainer war ich selbst ein begabter und begeisterter Sportler und fand den Einstieg in die Coachingwelt als Co-Trainer im Judo. Später war ich auch eine Zeitlang als Hauptamtlicher Judotrainer tätig. Durch meine Ausbildung als Sportwissenschaftler und Sportphysiologe kam ich in den Kontakt mit dem Ausdauersport. Dabei fasziniert mich die physiologische Entwicklung meiner Athleten mitgestalten und erleben zu dürfen.

Vom Profi-Fussball zum Handbike

Mit seiner Arbeit begonnen hat Ralf an der Sporthochschule in Köln, wo er umfassende Leistungsdiagnostiken mit diversen Profi-Fussballmannschaften und erfolgreichen Sportlern mit Handicap durchführte. Auf diese Weise kam er auch zum ersten Mal mit dem Handbike-Sport in Kontakt – den er seither sehr erfolgreich immer weiter vertieft hat.

Nach seiner Promotion 2008 in Leistungsphysiologie mit dem Schwerpunkt Sportmedizin im Handbike arbeitete Ralf zunächst als Leistungssportkoordinator beim Behinderten-Sportverband Niedersachsen.

2011 eröffnet er in Hannover eine Leistungsdiagnostik und arbeitet als Trainer. Dank seiner umfassenden Trainingswissenschaftlichen und Sportphysiologischen Kenntnisse, gelang es ihm die Testverfahren aus dem Nichtbehindertensport in den Sport mit handicapierten Atheltinnen zu adaptieren.

Mit seinem Mitarbeiter coacht Ralf heute rund 120 Athleten auf der Trainingsplattform Azum. Darunter mehrere Age-Group Weltmeister im Triathlon und Hobbyathleten aus dem Rad- und Laufsport.

In einem Gespräch mit Azum gibt Ralf einen Einblick in seine Arbeitswelt und die Herausforderungen, die er als erfolgreicher Trainer täglich zu bewältigen hat.

Behindertensport?

A: Wie sprechen Profis eigentlich über „beeinträchtige“ Sportler? Welchen Begriff haben Coaches und Athletinnen in diesem Bereich gerne?

RL: Für mich sind es einfach Sportler. Ich mache da keinen Unterschied. Ansonsten wird oft die Begrifflichkeit Sportler mit Handicap verwendet.

Sportliche Ziele und Erfolge

A: Welches sind Ihre grössten Erfolge als Trainer?

RL: Im Handbike Sport ist es sicherlich die Goldmedaille und weiteres Edelmetall an den Paralympics. Aber auch Erfolge am legendären Race Across Amerika sowie der Weltrekord über die Marathondistanz auf dem Handbike. Im Triathlon Sport konnte ich bereits Age-Group Weltmeister über die 70.3 sowie Top 5 Platzierungen an den Langdistanzweltmeisterschaften auf Hawaii feiern.

A: Welches sind Ihre Ziele für die kommende Saison?

RL: Die grössten Ziele für diese Saison sind sicherlich die Paralympics in Tokyo an welchen ich mit 6-10 Athleten, je nach Qualifikationen, möglichst viel Edelmetall holen möchte. Ausserdem möchte ich mit 4-5 Athleten die Hawaii Qualifikation schaffen, um danach auch Top 5 Platzierungen auf Big Island anzustreben.

Nicht beeinträchtigte Sportler vs. Sportler mit Handicap

A: Als nicht beeinträchtigter Sportler neigt man dazu körperlich oder geistig handicapierte Sportler quasi einer anderen Sportart zuzuordnen. Wie sieht das ein Coach, der viel mit beeinträchtigten Sportlern zusammenarbeitet? Welche Unterschiede / Gemeinsamkeiten gibt es generell?

RL: Grundsätzlich sind es für mich alles Athleten, welche ausserordentliche Leistungen erbringen. Jedoch gibt es je nach Beeinträchtigung verschiedene Punkte die zu beachten sind. So muss zum Beispiel bei der Trainingsplanung von Querschnittgelähmten mehr Zeit für den Transfer eingerechnet werden und sich über die Anfälligkeit für Harnwegsinfektionen bewusst sein.

Ausserdem ist es wichtig eine ausführliche Leistungsdiagnostik durchzuführen, damit ich als Trainer genau weiss an welchen physiologischen Parametern wir arbeiten müssen. Die Leistungsdiagnostiken führen wir mit Inscyd durch und erhalten dadurch ein ausführliches Metabolisches Profil.

Im Hinblick auf das Trainingsmonitoring und der Trainingsanalyse gibt es keine Unterschiede zwischen nicht beeinträchtigten Sportler und Sportlern mit Handicap.

A: Wie organisiert sich der Paralympische Sport, eine grosse Familie? Wie sieht die Vernetzung unterhalb der Verbände / Teams aus?

RL: Der Paralympische Sport hat wie der Leistungssport ohne Behinderung eine klassische Verbandsstruktur mit Nationalverbänden. Es gibt auch kleiner Teams von 5-6 Athleten oder Einzelkämpfer. Speziell im Leistungssport ist es nicht wie eine «grosse Familie» sondern der Wettkampf steht im Vordergrund.

Coaching ohne vs. Coaching mit Trainingsplattform

A: Warum coachen Sie grundsätzlich mit einer Trainingsplattform?

RL: Während 12 Jahren habe ich ohne Trainingsplattform gearbeitet. Dabei nutzte jeder meiner Athleten ein unterschiedliches Medium der Datenübermittlung. Von Garmin-Konto, über Training Peaks Account bis hin zu WhatsApp und E-Mail war alles vorhanden. Dabei verliert man irgendwann den Überblick und auch die Arbeit wird sehr Zeitaufwändig. Mit Azum habe ich nun alles gebündelt und benötige nur noch ein Kommunikationskanal. Die Arbeitsabläufe sind nun klarer, strukturierter und auch effizienter. Ich sehe nun alle Wettkämpfe und Trainingsdaten meiner Athleten auf einen Blick.

A: Welche Athletinnen und Sportarten coachen Sie mit Azum? Gibt es spezifische Stärken, die Sie dazu gebracht haben, mit Azum zu arbeiten?

RL: Mit Azum kann ich wirklich jede Sportart trainieren. Die meisten meiner Athleten machen Handbike oder Triathlon. An Azum gefällt mir am meisten das Gesamtpaket. Ich kann das Metabolische Profil aus der Leistungsdiagnostik mit Inscyd direkt in Azum anwenden und ich bin auch nicht an fixen Trainingszonen gebunden. Ausserdem kann ich dank der Erstellung von Brutto- und Nettostunden das Training optimal auf meine Athleten abstimmen.

A: Seit wie lange und wie viele Athletinnen betreuen Sie mit Azum?

RL: Ich benütze Azum seit Januar 2021 und betreue mit meinem Mitarbeiter 120 Athleten aus diversen Sportarten.

„Trainings-Plattform-Coaching“

A: Unterscheidet sich die Trainingsplanung für Athletinnen mit Handicap mit einem Tool wie Azum von der Planung für Athletinnen ohne Handicap? Falls ja: was sind die Besonderheiten?

RL: Wichtig ist es auf die Physiologie des Athleten achtzugeben. Klassische Trainingssteuerung nach HF ist bei Sportlern mit Handicap oft nicht Zielführend. Daher führen wir in regelmässigen Abständen Leistungsdiagnostiken durch und finden so die Physiologische Parametern, an welchen wir noch arbeiten können.

A: Was braucht eine Trainingsplattform zwingend, damit die Arbeit mit ihr in diesem Bereich Sinn macht?

RL: Für mich ist die Kommunikation mit den Athleten wichtig. Dabei finde ich die Feedback- sowie die Bruttostunden-Funktion in Azum sehr gelungen. Natürlich ist das Training-Monitoring auch essenziell für einen Trainer. Auch kann ich basierend auf der Inscyd Leistungsdiagnostik individuelle Trainingszonen erstellen und bin nicht an vordefinierte Zonen gebunden.

A: Welche Wünsche und Erwartungen haben Sie an eine Trainingsplattform wie Azum?

RL: Für mich muss eine Trainingsplattform zuverlässig funktionieren. Es darf keine Probleme bei der Datenübermittlung der Leistungsdaten geben oder bei Software-Updates der Hersteller. Eine stabile Software, welche wie eine Schweizer Uhr läuft und dafür sorgt, dass meine Daten sicher sind, wünsch ich mir.

Arbeit mit Sportlern mit Handicap - Empfehlungen & Tipps

A: Zum Schluss können Sie uns ein paar kurze Tipps zur Arbeit mit beeinträchtigten Sportlerinnen geben?

RL: Aufgrund der Behinderung sind die physiologischen Voraussetzungen unterschiedlich. Somit ist es sehr wichtig vor Trainingsbeginn ein Physiologisches-Profil zu erstellen. Nur so weiss ich wo das Training anzusetzen ist. Ausserdem ist es wichtig, mit seinen Athleten regelmässig Leistungstests durchzuführen um Veränderungen zum Positiven wie auch Negativen frühzeitig erkennen zu können. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz für den Sport mit Handicap. Es ist schade, wenn an Weltmeisterschaften nur gefühlte 5 Zuschauer vor Ort sind und der Sport nur alle 4 Jahre bei Paralympischen Spiele eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt. Da meiner Meinung nach die Leistung genau oder vielleicht noch beeindruckender ist als bei Sportlern ohne Handicap.

Wir bedanken uns recht herzlich bei Dr. Ralf Lindschulten für seine Zeit und den Einblick in seine Arbeitswelt.

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