Aerodynamische Optimierung – nur für die Elite und die Reichen!? Mitnichten. Alle Athlet/innen, die an Performanz auf dem Rad interessiert sind, sollten sich diesem Thema zwingend annehmen.
Zur aerodynamischen Analyse beim Radfahren existieren diverse Möglichkeiten, welche ein breites Budgetspektrum abdecken. Warum die aerodynamische Optimierung beim Radfahren von allen an Leistung interessierten Personen angegangen werden sollte und wie dies möglich ist, darauf wird in den folgenden Zeilen eingegangen.
Warum aerodynamische Optimierung?
Ein primärer Leistungsindikator beim Radfahren ist die Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit ist das Verhältnis von Poweroutput, welche der/die Fahrer/in generiert, zur Summe aller Widerstandskräfte.
Geschwindigkeit = Poweroutput / Widerstandskräfte
Bei gleichem Poweroutput ist die erreichte Geschwindigkeit also durch die Summe aller Widerstandskräfte bestimmt. Umgekehrt ist zur Erreichung einer bestimmten Geschwindigkeit in Abhängigkeit der Höhe aller Widerstandskräfte mehr oder weniger Poweroutput nötig. Im kompetitiven Radsport oder auch auf dem Rad im Triathlon geht es meist darum, eine Strecke in möglichst kurzer Zeit und/oder mit möglichst geringem Energieaufwand zurückzulegen. Vorhergehenden Ausführungen zufolge kommt in diesem Bestreben den Widerstandskräften eine zentrale Rolle zu, sollte doch die Höhe möglichst gering ausfallen. Beim Radfahren in flachem Terrain bei Geschwindigkeiten von über ca. 30 km/h ist der Luftwiderstand der mit Abstand grösste zu überwindende Widerstand. Sein Anteil an den der Vorwärtsbewegung entgegengerichteten Kräften beträgt in diesen Fällen ungefähr 90 %.
Schlüsselwort CdA
Der Luftwiderstand ist direkt proportional zur von Fahrer/in und Rad projizierten Fläche, dem Luftwiderstandsbeiwert, der Luftdichte (LD) sowie der quadrierten relativen Geschwindigkeit zwischen Körper und Umgebungsluft (vair2). Die von Fahrer/in und Rad projizierte Fläche und der Luftwiderstandsbeiwert werden zusammengefasst als effektive Frontfläche (CdA [m2]) bezeichnet.
Luftwiderstand = ½ * CdA * LD * vair2
CdA-Werte haben sich sowohl in der Sportwissenschaft als auch in der Praxis als Mass zur Beurteilung des aerodynamischen Profils von Athlet/in und Rad etabliert. Zur Bestimmung des CdA beim Radfahren existieren diverse Methoden, von welchen keine abschliessend als Goldstandard bezeichnet werden kann.
Luftwiderstand und CdA messen
Sowohl Spitzensportler/innen als auch Wissenschaftler/innen nutzen häufig den Windkanal, um Luftwiderstand und CdA Wert zu messen. So testete auch Triathlon-Profi Laura Philipp kürzlich in einer derartigen Einrichtung:
Obwohl Messungen im Windkanal oft als der beste Weg betitelt werden, gilt es stets zu beachten, dass Tests in einer solchen Einrichtung Laborsituationen entsprechen. Während Tests in Windtunnels zudem eine kostspielige Angelegenheit und nicht allen zugänglich sind, erlauben verschiedene Feldmethoden einem breiteren Personenkreis eine Bestimmung des Luftwiderstands respektive speziell des CdA beim Radfahren. Neben kommerziell erwerbbaren Analysetools sind die lineare Regressionsmethode oder auch die Virtual Elevation Methode zwei vergleichsweise kostengünstige Möglichkeiten. Diese, auf mathematischer Modellierung basierende Methoden, erwiesen sich in mehreren Studien als valide, reliabel und sensibel. Letztere ist auch im Open-Source Radsport-Analyse-Programm Golden Cheetah implementiert.
Aerodynamik verbessern – mit Bedacht und nicht nur
Als effektivster Weg die aerodynamische Performanz von Radfahrer/innen zu optimieren, erwies sich ein trial-und-error-Ansatz. Die Betreuung von erfahrenen Fachpersonen kann dabei Gold wert sein, ist doch mittlerweile längst bekannt, dass eine «kleinere» Position nicht zwingend schneller ist und ist es auch kein gut gehütetes Geheimnis mehr, dass gewisse Ausrüstungsgegenstände, sofern an der passenden Stelle angebracht, den Strömungsfluss der Luft optimieren können.
Spätestens an dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass auch im Bestreben der aerodynamischen Optimierung eine multidisziplinäre Betrachtungsweise gefordert ist. Denn klar ist: die beste aerodynamische Position bringt nichts, wenn sie bspw. bereits nach kurzer Strecke nicht mehr gehalten oder damit kaum mehr Power auf die Pedale gebracht werden kann. Deshalb ist es elementar, jede (vermutete) aerodynamische Optimierung unter realitätsnahen Wettkampfbedingungen zu testen, um zu prüfen, ob die getroffenen Massnahmen tatsächlich eine zeitsparende Wirkung haben können. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass sinnvollerweise aus den verschiedenen Perspektiven wie Aerodynamik, Physiologie, Biomechanik, Thermodynamik, usw. Kompromisse eingegangen werden müssen, sodass die Athlet/innen mit einem erfolgsversprechenden Gesamtpaket in die Wettkämpfe steigen können.
So auch bei Laura Philipp. Sie lässt sich seit mehreren Jahren von einem kompetenten Team, zusammengesetzt aus Fachpersonen diverser Bereiche beraten. Es wird kontinuierlich versucht, aus den verschiedenen Perspektiven Erkenntnisse zu gewinnen und aus diesen dann die vorübergehend optimale Lösung zu finden. Die letzte Position von Laura Philipp auf dem Rad war sehr «windschnittig», über die 180 km eines Ironmans wurde es für die Top-Athletin aber zunehmend schwierig, diese zu halten. Für ihren Coach Philipp Seipp war bereits kurz nach dem Abgleich der jüngsten Ergebnisse von biomechanischen Tests mit denjenigen aus dem Windkanal klar, dass er eine «bequemere» Position, in welcher seine Athletin eine höhere Leistung treten kann, einer aerodynamisch leicht optimaleren vorziehen wird. Beide vermuten, dass diese Wahl in der Summe zu schnelleren Radzeiten führt. Auf dem Niveau von Laura Philipp sind es Details, welche noch einen Unterschied – aber vielleicht die entscheidende Differenz – ausmachen können. Hingegen können Personen, welche sich bisher kaum mit der Aerodynamik auf dem Rad beschäftigt haben, mittels aerodynamischer Optimierung oft eine beträchtliche Anzahl Watt einsparen.
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